Der Klimastreik in der Krise: Stoppt die Corona-Pandemie die Grüne Welle?

Die Corona-Pandemie hat der Grünen Welle stark zugesetzt. Strassenproteste entfielen und das Verhältnis zwischen Politik und Klimastreik verschlechterte sich. Die fehlende Unterstützung des Klimastreiks für das CO2-Gesetz gibt schliesslich der Frage, ob die Grüne Welle an der Corona-Pandemie scheitert, neuen Aufwind.


Louis Schäfer,

 

Zurück auf der Strasse: Der Klimastreik trotzt der Corona-Pandemie und protestiert erneut für eine grünere Schweiz (Keystone-SDA).

Der im Zusammenhang mit Corona weltweit grassierende, wohlbegründete Pessimismus machte auch vor der Grünen Welle nicht halt. Die Klimathematik und Protestaktionen waren während der Corona-Pandemie zeitweise so stark aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt worden, dass sich so mancher Journalist bereits die Frage stellte, ob die Grüne Welle nun ihr frühzeitiges Ende gefunden hätte. Das Online-Nachrichtenportal watson beklagte beispielsweise am 02.04.2020 die Lahmlegung des Klimastreiks durch die bundesrätlich verordneten Massnahmen und thematisierte die dadurch entstandenen Leiden der Klimajugend. Der Blick titelte ca. ein Jahr später provokant: Hat Corona die Klima-Teenies weggehustet? und verwies ebenfalls auf die wegfallenden Strassenproteste, welche für die Grüne Welle bis anhin so wichtig waren.

Die Lektüre einer NZZ-Reportage vom 25.05.2021, in der sich Klimaaktivisten und Politiker zur Gegenwart und Zukunft der Grünen Welle äussern, verdeutlicht schliesslich den Eindruck, dass die Corona-Pandemie der Grünen Welle stark zugesetzt hat. So trennen sich Befürworter und Teilnehmer der Welle in solche, welche weiter versuchen auf politischem Weg ihre Anliegen zu erreichen, andere, die in eine Art Resignation verfielen und die Grüne Welle in einer Sackgasse sehen, und wieder andere, die zu aggressiveren Protestaktionen aufrufen. Letztere lehnen dabei Gewaltanwendung als Ultima Ratio für die Durchsetzung ihrer Anliegen nicht ab.

Die fehlende Unterstützung des Klimastreiks für das an der Urne gescheiterte CO2-Gesetz erscheint als weiteres Symptom einer umfassenden Krise: Die Bewegung verkannte den politischen Willen für eine Umsetzung ihrer Anliegen und verpasste damit eine wichtige Chance für eine grünere Schweiz. Dass der Klimastreik das CO2-Gesetz nicht unterstützte, wird als einer der entscheidenden Gründe dafür gesehen, dass das Gesetz vor dem Volk scheiterte. Dem Klimastreik ging das Gesetz zu wenig weit und er fühlte sich schon zuvor zunehmend von Linksparteien «belogen und betrogen», wie Exponenten der Bewegung im August 2020 verlautbaren liessen. Ob man diesen Statements der Bewegung zustimmt, hängt wohl von eigenen Überzeugungen und Ideologien ab; Fakt ist aber, dass der politische Wille für Änderungen in der Klimapolitik in Bundesbern vorhanden war bzw. vorhanden ist – auch bei bürgerlichen Parteien. Dieser Umstand kann nicht nur durch das ausgearbeitete CO2-Gesetz, sondern auch durch die folgenden Analysen von Parlamentsdebatten ab 2017 erkannt werden.

 

Die bisherigen Erfolge des Klimastreiks

Eine Analyse der parlamentarischen Debatten ab 2017 zeigt auf, dass die Klimathematik in Bundesbern ab 2018 zunehmend an Bedeutung gewonnen hat. Die Zunahme ist dabei auf die Klimaproteste im Sommer 2018 und die damit verbundenen Wahlsiege der Grünen und Grünliberalen Partei in den Parlamentswahlen 2019 zurückzuführen. Im Vergleich zur Protestbewegung, die durch die Corona-Massnahmen zwangsläufig lahmgelegt wurde, konnte die Grüne Welle im Bundesparlament durch die Pandemie nicht gestoppt werden: Vor dem ersten Klimastreik in Schweden wurde die Klimathematik in ca. 6 – 10% der Wortmeldungen genannt; nach den ersten Protesten fand sie in ca. 3 – 20% der Wortmeldungen Erwähnung. Dabei muss gesagt sein, dass der Klimaprotest wohl von der Politik verspätet – erst in der Wintersession 2018 – richtig wahrgenommen wurde und ab diesem Zeitpunkt die Klimathematik sogar in 9 – 20% der Wortmeldungen genannt worden ist. Diese Zunahme der Wortmeldungen erscheint als beachtlicher Erfolg der Klimabewegung.

 

Für die Bestimmung der Anteile an Wortmeldungen, in welchen die Klimathematik eine Rolle spielte, wurde eine Wörterbuchanalyse in R-Studio durchgeführt (siehe weiter unten für mehr Informationen).

Eine detailliertere Analyse der Wortmeldungen während des ersten Corona-Jahres zeigt, dass sich insbesondere die Grüne und Grünliberale Fraktion für die Klimathematik einsetzten. Allerdings fallen auch die SP-Fraktion in den ersten drei Sessionen und die FDP-Fraktion in der Sommer- und Herbstsession durch eine überdurchschnittlich häufige Nennung der Thematik auf. Die Mitte- und SVP-Fraktion scheinen das Thema hingegen im ersten Corona-Jahr eher gemieden zu haben.

 

 

Bemerkenswert ist das Engagement der Grünen Fraktion während der ausserordentlichen Session im Mai ’20: Die vorgehende Frühjahrssession wurde coronabedingt abgesagt und das Parlament verständigte sich auf die Durchführung einer ausserordentlichen Session, die ganz im Zeichen der Pandemie stehen sollte. Über 40% der Wortmeldungen der Grünen Fraktion waren in dieser Session der Klimathematik geschuldet, was sie deutlich von den restlichen Fraktionen unterscheidet. Die Grüne Fraktion nannte wohl die Klimathematik deshalb so häufig, weil sie sich vor allem an der finanziellen Unterstützung der Fluggesellschaften und Bodenbetriebe störte. «Für uns gibt’s kein Geld für Fluggesellschaften, wenn diese umgekehrt nicht bereit sind, klimapolitisch vorwärts zu machen», so der Fraktionsvorsitzende Glättli. Diese Forderungen der Grünen Fraktion, welche im Angesicht der ersten Corona-Welle eher partikularistisch anmuten, lassen das Engagement bemerkenswert erscheinen.

 

Wie geht es mit der Grünen Welle weiter?

Mit dem schweizweiten Corona Lockdown anfangs 2021 nahm die Erwähnung der Klimathematik im Parlament merklich ab (durchschnittliche Nennung von ca. 10% in der ersten Session). Allerdings wurde die Thematik in der Sondersession im Mai und in der laufenden Sommersession wieder öfter genannt. Sie findet dort mit durchschnittlich ca. 15 – 18% der Wortmeldungen immer noch deutlich mehr Erwähnung als vor den ersten Klimaprotesten im Sommer 2018. Es sei allerdings darauf verwiesen, dass die laufende Sommersession ’21 noch nicht abgeschlossen ist und sich die Anzahl an Wortmeldungen zur Klimathematik wohl noch verändern kann. Auffällig sind zudem die überdurchschnittlich häufigen Nennungen durch die FDP-Fraktion in der Frühjahrssession, durch die Mitte-Fraktion in der Sondersession im Mai sowie durch die SVP-Fraktion in der laufenden Sommersession.

 

 

Die Analysen von Wortmeldungen im Bundesparlament zeigen, dass seit 2018 vermehrt über die Klimathematik gesprochen wird. Die Klimaproteste und Wahlsiege der GP und GLP begünstigten wohl die Ausarbeitung des progressiven CO2-Gesetzes, dass als Symbol des politischen Willens für eine grünere Schweiz gesehen werden kann. Die breite politische Unterstützung für das Gesetz – vor allem auch durch die bürgerliche FDP – erschien bemerkenswert. Allerdings werden die Erfolge des Klimastreiks durch die Ablehnung des CO2-Gesetzes und die geringeren Teilnehmerzahlen an neuerlichen Klimaprotesten überschattet.

Ob sich die Grüne Welle nach den schwierigen Corona-Jahren wieder aufraffen kann oder ob die Welle an der Pandemie schliesslich bricht, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Wenn die Grüne Welle jedoch weiter bestehen soll, dann dürfte eine bessere Verständigung zwischen Klimastreik und politischen Befürwortern vonnöten sein sowie auch Strassenproteste von der Grössenordnung der vorgehenden Jahre.

 

Daten

Die drei Grafiken wurden in R-Studio mit Daten des swissparl-Packages (Zumbach, 2020) erstellt. Darin sind sämtliche Wortmeldungen des Stände- und Nationalrats für die, in dieser Arbeit benötigten Zeitperioden vorhanden. Die einzelnen Parlamentsreden enthalten zudem Angaben zur Fraktionszugehörigkeit der sprechenden Person sowie das Datum, an welchem die Rede erfolgt ist.


Analyse & Validität

Die Analyse der Parlamentsreden wurde in R-Studio unter Verwendung des quanteta-Packages (Benoit et al., 2018)  durchgeführt. Für die Bestimmung einer Parlamentsrede als “Wortmeldung zur Klimathematik” wurde ein meines Erachtens grosses, aber nicht zu umfassendes Dictionnarys geschaffen. Wenn in einer Parlamentsrede ein Wort aus dem Dictionary vorlag, wurde sie als 1 codiert und ansonsten als 0. Das Dictionary und der R-Code zu den präsentierten Modellen, können auf meinem GitHub-Account eingesehen werden. So kann der Leser die Validität der Ergebnisse selbst überprüfen bzw. einschätzen.