Pietätvolle Kunst auf Ustermer Friedhof – geht das?

Kunstinstallationen auf dem Friedhof Uster sollen eine andere Sicht auf Themen wie Leben, Tod und Ewigkeit ermöglichen. Wie gut dies gelingt, steht allerdings zur Debatte.


Louis Schäfer,

 

Kunst auf dem Friedhof soll neue Perspektiven ermöglichen – so zumindest stellen die Veranstalter es sich vor. Foto: Seraina Boner

Unter dem diesjährigen Motto «Kunst in der Ruhe» lud das Hinterhalt-Festival an eine spezielle Örtlichkeit ein: den Friedhof Uster. Wie jedes Jahr wurden Orte ausgewählt, die sich verändern oder gar verschwinden sollen. So ist auch das Gebäude Apothekerstrasse 18 Teil der Ausstellung, wo ein öffentlich kritisierter Umbau ansteht.

Auf dem Friedhof erhielt das Publikum durch die OK-Mitglieder Bertilla Spinas und Corsin Gaudenz eine Führung. Thematisiert werden die Geschichte des Friedhofs und einzelne Grabstätten. Dabei fallen den Besuchern unter anderem Wörter in grossen Holzbuchstaben des Künstlers Matthias Zurbrügg auf.

Wörter wie «LOSLASSEN», «ZEITLOS» und «ZEIT LASSEN» sollen eine spielerische Auseinandersetzung mit dem Tod ermöglichen.

 

 

Eindrücke der Besucher

«Durch die Ausstellung der Kunstobjekte erhält der Friedhof eine philosophische Dimension», sagt Christian Zwinggi, Kulturbeauftragter von Uster und Teilnehmer der Führung. Friedhöfe seien normalerweise Orte der Ruhe und Pietät.

Die Kunstwerke würden jedoch Friedhöfe möglichen Besuchern öffnen, und neue Perspektiven sind möglich, so Zwinggi.

 

Der Kulturbeauftragte der Stadt User, Christian Zwinggi.

«Die Kunst lädt dazu ein, den Friedhof auch mit Kindern zu besuchen. Das ist wichtig», reflektiert Petra Rupflin. Die Pflegefrau erlebt die Kunstausstellung insgesamt als positiv.

Sie kann sich aber vorstellen, dass es auch kritische Ansichten gibt. «Personen könnten sich im Grab umdrehen wegen der Kunst und der dröhnenden Musik, die von ausserhalb zu hören ist.»

Tatsächlich ist eine Kunstinstallation mit lauter Rockmusik nur wenige Meter vom Friedhofseingang entfernt. Dies erschwert es zum Teil, den Erklärungen der Friedhofsführung zu folgen.

 

Kunst unter einer Vielzahl an Auflagen

«Moderne Kunst und Friedhöfe passen gut zusammenpassen», sagt die Ustermer Stadtpräsidentin Barbara Thalmann. Sie nimmt ebenfalls an der Führung teil. «Kritik hat es bisher gar keine gegeben, da hier keine laute Kunst präsentiert wird, sondern dezente und pietätvolle.»

 

Die Stadtpräsidentin Barbara Thalmann war auch Gast des Festes.

Im Hintergrund seien jedoch längere Diskussionen nötig gewesen, um die Regeln des Friedhofs einzuhalten. Dies bestätigt auch der Vereinspräsident des Festivals, Frank von Niederhäusern: «Am Anfang war eine Skepsis bei der Stadt zu spüren. Doch wir haben klargemacht, dass es um dezente Kunst geht.»

Dieser Umstand wird am diesjährige Werk der beiden Schweizer Künstler Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger deutlich. Das Werk des international bekannten Duos zeigt eine Videoinstallation und befindet sich in einem kleinen «verwunschenen Bau».

Im Video sind Hühner auf einem Klavier zu sehen, was die Besucher als unproblematisch einschätzen. In einer Ausstellung auf dem Friedhof Sihlfeld, die ebenfalls am 9. Juli zu sehen ist, legte das Künstlerduo ein Weizenfeld an. Dies wird kritisch gesehen, da dies gegen die Friedhofsregeln verstösst.

 

Mangel an Ecken und Kanten

Dass die Künstler dem Friedhof respektvoll begegnen, scheint schön und gut. Jedoch sind auch kritische Stimmen zu vernehmen.

«Moderne Kunst gehört unbedingt auf den Friedhof», reflektiert Moritz Fischer. Der Friedhof sei ein toter Ort, der die heutige Zeit nicht widerspiegelt. «Zu dezente Kunst ist problematisch: Kunst muss provozieren und Grenzen testen, damit sie wirkt.

 

Kann mit dezenter Kunst wenig anfangen: Besucher Moritz Fischer.

Wenn Kunst nicht aneckt, dann ist es keine Kunst.» Er verstehe, dass beispielsweise während eines Begräbnisses Kunst nur dezent eingesetzt werden sollte, aber: «Wenn die Grenzen des Möglichen nicht ausgetestet werden, dann weiss niemand, wo diese liegen.»
 
 

Veröffentlicht hier: https://zueriost.ch/kultur/2023-07-09/pietaetvolle-kunst-auf-ustermer-friedhof-geht-das